Vor kurzem erlebte ich das Gegenteil von Verbundensein. Es kam mir vor, als säße ich im Zug mit lauter „Zombies“, die alle stumm in ihr Smartphone oder in ihren Laptop starren. Jeder in seinem eigenen, privaten Universum. Ich fühlte mich sturz-einsam. Objektiv gesehen gab es dafür einen geringfügigen Anlass, der mich aus dem emotionalen Gleichgewicht gebracht hatte. Meine Freundin war früher als gedacht aus unserem Wellnessurlaub abgereist. Kurz danach war mein Stimmungsbarometer bei null. Trotz aller Annehmlichkeiten, die ein Wellnesshotel bieten kann, fühlte ich mich entwurzelt und konnte es überhaupt nicht genießen. Erst am Abend wurde mir bewusst, dass ein altes Verlassenheitsgefühl aus meiner Kindheit mich eingeholt hatte. Durch Gespräche und Meditation gelang es mir am nächsten Tag wieder in meinen normalen Modus zu finden. Ich war wieder mit mir selbst in Kontakt und die Welt um mich herum schien mir wieder vertraut und wohlwollend.
In unserem Körpergedächtnis sind traumatische Erinnerungen gespeichert. Es genügt ein Bild, ein Geräusch, ein Geruch, ein Gefühl, ein Gedanke oder eine körperliche Empfindung, die uns an einen traumatischen Vorfall erinnert. Augenblicklich fallen wir in eine Art TRANCE. Das oben beschriebene Ereignis gehört zu einem sogenannten Entwicklungstrauma. Es gab eine bestimmte emotionale Vorerfahrung, durch die die Amygdala (=mandelförmiger Teil des emotionalen Gehirns) angesprungen ist. Die Amygdala sorgt dafür, dass wir auf echte oder vermeintliche Bedrohungen automatisch mit Kampf oder Flucht reagieren. Sie ist das Angstzentrum des Gehirns und lässt uns in gefährlichen Situationen reflexartig und unmittalbar reagieren. Je nach Persönlichkeitsentwicklung fallen wir dann eher in den Kampfmodus (Wut , Haß, jede Form von Aggression) oder in den Fluchtmodus (Mimik ausschalten, keine Gefühle mehr zeigen, Kopf senken, nicht in die Augen schauen, Depression).
Unser emotionales Erleben im Erwachsenenalter wird vom emotionalen Gehirn unbewusst gesteuert. Wir reagieren unwillkürlich auf Situatonen, in denen wir uns in der Kindheit als Opfer gefühlt haben. Egal, ob wir automatisch in den Kampf- oder Fluchtmodus gehen, wir fühlen uns überfordert und der Situation nicht gewachsen. Wir verlieren die Kontrolle über unser Denken und Handeln und sind nicht mehr in der Lage angemessen auf die Situation zu reagieren. Eventuell kann es zu emotionalen Kurzschlusshandlungen kommen, zu denen es unter normalen Umständen nie gekommen wäre. In solchen plötzlich auftretenden Stresssituationen fragmentieren („to fall into pieces“, in einzelne Stücke zerfallen) wir, d.h. wir fallen in ein altes Verhaltensmuster zurück.
Es gibt unvorhersehbare Situation in denen wir nicht mehr Meister unserer Sinne sind. Wir toben und schreien vor Zorn, wir erstarren vor Angst, große Scham oder Trauer lässt uns ins Bodenlose versinken, oder es schlägt uns etwas auf den Magen, unser Herz krampft sich zusammen, es sitzt uns im Nacken, es lastet auf den Schultern usw. In solchen Ausnahmesituationen ist unser kognitives Gehirn ausgeschaltet und das emotionale Gehirn hat in wenigen Millisekunden das Steuer übernommen. Wir werden von primitiven und instinktiven Emotionen, die uralten Virenprogrammen ähneln, gesteuert. Sie schalten das Großhirn (= Neokortex) aus und trüben unser Urteilvermögen. Das unangenehme an diesen instinktiven Emotionen ist, sie wirken sehr lange nach. Sie können Tage, Wochen oder Jahre anhalten und belasten unser Nervensystem. Daneben gibt es selbstverständlich auch ganz normale alltägliche Emotionen, die schnell wieder vergehen und keine Nachwirkungen haben.
Wie kommen wir aus so einem tranceartigen Zustand wieder heraus?
Schritt 1: KÖRPER SPÜREN
Was spürst Du im Körper jetzt? Welche Emotionen kannst Du wahrnehmen? Welche negativen Glaubenssätze kreisen im Kopf?
Schritt 2: FRAGMENTIERUNG ANERKENNEN
Nimm an, dass Du nicht im Normalzustand bist, sondern in einem Traumazustand bist.
Schritt 3: WERDE PRÄSENT
Atme, nimm eine aufrechte Haltung an und ziehe eine imaginäre Grenze um dich herum, bewege dich, spüre Körper bzw. Körperteile, benenne Gegenstände aus der unmittelbaren Umgebung (roter Teppich, blaues Sofa,..), spüre den Boden unter den Füßen, nimm deine momentanen, eigenen Impulse und Bedürfnisse wahr, (dies sind verschiedene Möglichkeiten, eine zwei davon genügen!)
Schritt 4: AUSLÖSER FINDEN
Wann ging es dir letztmals gut? Lass die vergangene Zeit/Tage von jetzt an zurücklaufen (wie einen Film rückwärts anschauen), bis du den Auslöser identifizieren kannst, es können auch mehrere auslösende Ereignisse sein.
Schritt 5: AUFSCHREIBEN
Beschreibe den oder die Auslöser, dein Körperempfinden, deine Gefühle, Gedanken, Impulse oder auch innere Bilder dazu. Es kann helfen, wieder in Kontakt mit dir selbst zu kommen.
Mögliche Fragen dazu:
Wie passt der gegenwärtige Auslöser zu einer Erfahrung aus deiner Kindheit? Inwiefern ist es eine Wiederholung einer alten Verletzung?
Was hättest du damals eigentlich gebraucht?
Was kannst du dir jetzt Gutes tun?
Was spürst Du jetzt im Körper oder nicht?
WICHTIG: Bei Schocktraumen oder länger anhaltenden Verstimmungen ist therapeutische Begleitung unbedingt erforderlich!
Was bringt die Auseinandersetzung mit diesen Traumageschichten?
Für mich persönlich war und ist es wichtig, den emotionalen Rucksack aus meiner Kindheit immer wieder aufzuräumen und Schwergewichte los zu werden, die ich nicht mehr brauchen kann und die meine Handlungsfreiheit einschränken. Dazu eine Parabel, in der ein junger nordamerikanischen Prärieindianer seinen Großvater fragt:
„In mir sind zwei Wölfe. Der eine will töten und zerstören, der andere Frieden und Schönheit bringen. Sag, Großvater, welcher Wolf wird siegen? Der alte Mann erwidert: „Der, den du fütterst.“
Das Zitat ist aus dem Buch „Das erleuchtete Gehirn“, Alberto Villoldo und David Perlmutter, Vlg. Goldmann
Um den Kreis zum Verbundensein mit der Welt rundherum zu schließen, ist MEDITATION ein guter und geeigneter Weg wieder ganz im Körper und bei sich selbst anzukommen. Über die zentrierte Atmung und Haltung in der Mediation kann es uns gelingen die älteren Gehirnregionen zu beruhigen, damit sich innerer Frieden, Weisheit, Mitgefühl, Kreativität und Lebensfreude ausbreiten kann.
Literatur:
„Die neue Medizin der Emotionen“, David Servan-Schreiber, Vlg. Goldmann
„Das Geheimnis der Intimität“, Jack Lee Rosenberg und Beverley Kitaen-Morse