Unerwartetes Geschenk

Lilien in Ulli´s Garten – Alte Donau

Unser Bewegungsradius im Alltag ist meist von Routinen geprägt. Die Strecken, die wir täglich von zu Hause in die Arbeit zurücklegen oder unsere Wege am Arbeitsplatz, sind oftmals vorgegeben. Ob uns das eher Sicherheit vermittelt oder in gähnende Langeweile ausartet, hängt von vielen inneren und äußeren Faktoren ab. Empfinden wir unsere Arbeit als sinnvoll, fühlen wir uns am Arbeitsplatz wohl und willkommen, gibt es Freiräume für eigene Entscheidungen, können wir unsere Ideen und/oder Kreativität einbringen, gibt es Teamgeist, ein wertschätzendes Miteinander? Falls eine oder mehrere dieser Fragen mit ja beantwortet werden können, können wir uns schon glücklich schätzen. Mit dem Begriff Spaß bei der Arbeit haben, möchte ich sparsam umgehen, denn Arbeit ist oft nicht spaßig. Trotzdem können wir Freude an der Arbeit haben, auch wenn es nicht leicht ist. Gerade, wenn es etwas Kniffliges zu lösen gibt, kann unsere Zufriedenheit gerade durch das Bewältigen von Hindernissen enorm gesteigert werden.

Auch bei unseren Freizeitaktivitäten kann es immer wieder Aspekte geben, die uns Überwindung kosten. So kann es anstrengend sein, sich nach der Arbeit zu einem Kurs oder einer sportlichen Aktivität aufzuraffen. Vor kurzem schaffte ich es, trotz Müdigkeit, mich zum 5 Rhythmen Tanzen aufzuschwingen. In dieser zweistündigen Tanzeinheit machten sich immer wieder meine Kniegelenke bemerkbar, die in den letzten Jahren einiges an Elastizität eingebüßt haben. Wild Rumfetzen oder auf den Boden hinunter gleiten und wieder in die Vertikale hoch kommen, gelingt mir nicht mehr ohne Mühe. Die erste halbe Stunde war ich ganz auf mich konzentriert und verbrachte diese damit, mich aufzuwärmen und die knorrigen Schultern und Knie so geschmeidig wie möglich zu machen. Die Musik ist dabei das Wundermittel, das mir Flügel verleiht und mich immer weiterträgt. An diesem Tag gelang es mir, mich ganz dem Bewegungsfluss hinzugeben. Im Deutschen klingt das Wort „Hingabe“ nicht ganz so schön wie das Englische „surrender“.

Surrender to the moment.

Sich dem Moment hingeben, wo der Verstand ruht und der Körper sich im Fluss, ohne Denken, bewegt. In so einer Stimmung kam es zur Schlussphase dieser Tanzwelle – in die Stille. Eine satte Zufriedenheit breitete sich in mir aus. Ein wohliges Gefühl satt in mir selbst zu ruhen. Ich dachte: „So alt musstest du werden, um dieses Gefühl, ganz in Frieden mit dir selbst zu sein, spüren zu können.“

In mir war es ganz leise geworden, eine innere Stille und Zufriedenheit mit diesem Augenblick. Mir selbst zu genügen, was für eine Freiheit. Keine großen Sehnsüchte, Hoffnungen oder Erwartungen waren da, wie ich sie oft in meiner Jugend erlebt hatte. Zustimmung, ohne Wenn und Aber. Ein großes, unerwartetes Geschenk. Ein besonders wertvolles Geschenk, das sich von innen heraus, ohne mein Zutun, von selbst eingestellt hatte. Beinahe schwebend und doch getragen fühlte ich mich. Schwer zu beschreiben ist diese innere Freude, die gleichzeitig eine mühelose Leichtigkeit mit einer erdigen Schwere verbindet.

„ Oh Augenblick verweile doch! Du bist so schön!“


Und ein Fingerschnippen später, ist dieser kostbare Moment nur mehr eine wohlige Erinnerung. Doch diese hat sich fest in meinem Gedächtnis verankert und kann jederzeit wieder hervorgeholt werden.

Für die kleine Alltagsfreude, schwinge ich mich mehrmals pro Woche aufs Fahrrad, um vom sechsten in den dritten Bezirk zu radeln. Als Lenkerin und Herrin meines alten Gauls fühle ich mich frei und selbstbestimmt. Mit dem Fahrtwind im Gesicht und getragen von einer luftigen Weite um mich herum, überkommt mich ein kleines Glücksgefühl. Auch so ein unerwartetes Geschenk, das sich immer wieder von selbst einstellt und mich überrascht. Vielleicht ist es eben gerade dieses „meditative Radfahren“, dieses sehr gemächliche Vormichhinfahren und mich gerne überholen lassen, das mir diesen Genuss beschert. Es erscheint mir immer als ideale Einstimmung für meine Arbeit und auch als stimmiger Nachklang am Ende meines Arbeitstages.